Regina Hilber

Regina Hilber, geboren 1970 in Hausleiten/NÖ. Wohnte lange Jahre in Tirol, seit 2006 in Wien. Veröffentlichte den Lyrik u. Kurzprosaband Ich spreche Bilder (TAK-Verlag 2005), Im Schwarz blühen die schönsten Farben (Edition Thurnhof 2010). Beiträge für zahlreiche Anthologien, zuletzt zeichensetzung.zeilensprünge (Luftschacht Verlag, 2009). Staatsstipendium f. Literatur, Holfeld-Tunzer-Preis 2008 (gemeinsam mit Thomas Ballhausen), Anerkennungspreis f. Literatur des Landes Niederösterreich 2010.

Laudatio

Marcus Poettler für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2010

Gelbe Ausfallstore in mutigen Bildern

Regina Hilber entführt uns in ihrem Langgedicht "prekmurje" auf eine herbstliche Reise durch eine Landschaft in Slowenien - jedoch ohne sich in belanglosen Beschreibungen von Orten und Örtlichkeiten zu ergehen. Mit Hilfe unverbrauchter und mutiger Bilder wird unter die Oberfläche des Sichtbaren vorgedrungen und die Wahrnehmung dabei oft ins Unwirkliche verschoben, verfremdete Eindrücke schaffen eine Mehrschichtigkeit die den Leser in den Bann zieht.

Zu Beginn wird den Orten eine eigene Stimme verliehen, sie treten in Zwiesprache mit dem Reisenden: "ich bin dein minutenglück flüstert / ptuj und ich / bleibe noch in paar stunden ein / tag macht schließlich kein leben / kringelt gelbe ausfallstore / metastasen lassen sich nicht bestimmen / an klaren tagen", heißt es ganz am Anfang des Gedichtes. Es sind die Ebenen hinter und unter dem Offensichtlichen der Orte die dargestellt werden. Mit wunderbar unverbrauchten Bildern wird die herbstliche Idylle demaskiert, dunkle Schatten werden an die Innen- und Außenwelt gemalt um sie kurz darauf mit einem poetischen Windstoß wieder zu zerstreuen oder neu zu formen.

Mit zunehmender Dauer der Reise vermindert sich die Geschwindigkeit und die Ortswechsel werden seltener, die Betrachtungen genauer. Nun beginnt nicht mehr der Ort im Vordergrund zu stehen, sondern die Menschen - dennoch bleiben die Grenzen verschwommen. Alles und jeder ist Teil einer Landschaft, einer Jahreszeit und vermischt sich mit Verinnerlichtem bis es schlussendlich zum Stillstand kommt.

"prekmurje" ist ein außergewöhnliches Gedicht, dessen bildreiche Sprache den Leser immer wieder zu überraschen vermag und ihn von der ersten Strophe an nicht mehr los lässt. Man muss Regina Hilber dankbar sein für jede Zeile dieser Reise.

Gedichte

-prekmurje-                             
ich bin dein minutenglück flüstert
ptuj und ich
bleibe noch ein paar stunden ein
tag macht schließlich kein leben
kringelt gelbe ausfallstore
metastasen lassen sich nicht bestimmen
an klaren tagen

ich bin dein wortinstrument insistiert
moravske toplice und ich
gehorche noch viele meter den
strichen auf der karte
sondiere den fluss vom rollmeter eines bades
mitgelaufene linien warten mutlos
auf ein ende zu
ist es ein muster
wird es zickzackkämpfe geben
krokodile an den wänden
nachts im umrissschlafen

ich bin deine fallgrube warnt
ižakovsci und ich schreite mühelos hinein
eine schreiinstanz von meiner mitte
wirfst du den feuerball sogleich ins wasser
die mühle weiß den balg zu treten
nie gesehnes eisblau aus dem winkel eines dreizack

ich bin dein kuhgehöft tönt munter
noršinci und
minuten metastasen krokodile malen
zaun und zäunen unerschrockene
gesichter

ich bin dein herbst tröstet
murska sobota und eicheln fallen
blätter samen
ein fingerzeig firmiert an harten fronten widerborstige gespenster
der blauzack ist ein monument
triefend vor dem mittagsstrahl
bis zum schloßtor reicht ein blick und auch noch weiter ist
das einflüstern jetzt zu vernehmen
ausflucht und trug zur septembermilde
spinnen kreuzen jeden zentimeter
aber
lass die eicheln rieseln und die
blätter schweben und kastanien springen
die bereitschaft treibt keine samen vor
diesem einen winter

 

 

ich bin dein rückhalt säuselt
ljubljana und letzte lichter schimmern in den gassen
unter brückenschatten weilt ein führer
nicht des weges
nicht der diffamierung wegen
schart er heere auf vorbestimmter breite

ich bin dein untergang triumphiert
kostanjevica und fingerkuppen kerzen brennen
bleibt ein schlupfloch offen
spritzen blauzackige wolken stimmverwandt
auf egon schiele
minuten metastasen krokodile monumente
lippen lüften auf ein ungestümes hol mich heim
sei bei mir ein selbstverständnis    
was weiß ein zwirn von zwetschken zu berichten
aus der ferne blau die mura
abstandslos morast

 

 

 

 

 

tausend splitter winken in den birken
suhi vrh singt rad und rädern  
see und sehern totgeborene augenfedern
ich bin dein dorfmatrose heult ein kühner zug
durch tešanovci und ich trete noch
ein wenig fester
ormož ködert ausnahmslos mit worten
schüttelt brot und brote
pol um pole
nachmittags ins abteil differenzen

fass den kragen
kopfstimme unter wasser
unter dem grund im knoten blind gehorche
tauch den wolfsschwanz in den graben
stich die milch gleich herzkonturen blasser ahnen
minuten metastasen schöpfer wasser barometer
nasser schornstein vor meiner zeder
schick mir keine gaben
schick mir rinden
schick mir schorf und rinden

 

 

 

kommt der glockenschlag zeitversetzt durch
den nordwind von martjanci
kommt ein winter von osten oder
fehlt da durchsetzungsvermögen
kommt ein gestern
kommt nachtverkehr
kommen tränen
nie
kommen vormalzeiten mundgerecht
und unbefangen seltsam abgemildert
herbstlicht prahlt nicht
herbstsonne strahlt nicht
spätwärme kommt nicht
accade

eine handvoll kommunisten streut der abwind über herrenlose krumen knüpft
ein bündel an zierliche gesimse
lendava schmücken allseits gestrige girlanden
im königsstuhl ruhen flüchtige matronen
ein vaterväter blickt müde über bröckelnde bordsteinkanten
an vierundvierzig erinnern keine hortensien und rosen
diese nicht und jene unter zweigeteilten tafeln
traktoren maiskorn horizonte geben feld
und feldern
fern und ferner
anverwandte kronen
aus diesem apfelbaum vom westgelichteten hügel wird deine gibanica zur vierzehnten tollkirsche heranreifen
den mohn haben die dohlen gestreut lange schon
bevor der vorige winter kam um die säumlige heimzuholen
aus diesem augenblau gerinnt keine sehnsucht
in die gepreßte milch tunkten ganze sippen die früchte der kinder der libellen
aus diesen schichten keimt der fliegenpalast
wirft weiße schmetterlinge vor den hungrigen zeh
aus diesem abschüssigen buchenwald rollt die haselnuss

take her when she comes and
leave her when she goes

in der mitte bin ich ein apfelbaum
am scheitel die rotunde zu selo

 

 

 

 

im stimmfenster der zeit die endlosen worte
auf dem acker der vernunft die fliehenden pferde
hüte das licht der schottrigen auswege der
rotkuhligen schwestern
zofen der zwietracht
öffne die faust der herzogin des jetzt
muse des vergessens

ich bin in mir ein haus
ein gegenstand
ich bin in mir gebunden