Andreas Neeser, Foto: Alex Spichale

Andreas Neeser, geboren 1964 im Kanton Aargau (CH), studierte Germanistik, Anglistik und Literaturkritik an der Universität Zürich. Mehrjährige Unterrichtstätigkeit am Gymnasium als Deutschlehrer im Teilamt. Längere Auslandaufenthalte in London, Paris, Berlin, Lissabon. Seit September 2003 ist Neeser Leiter des Aargauer Literaturhauses «Müllerhaus. Literatur und Sprache» in Lenzburg und lebt als Schriftsteller in Aarau. Mitglied von Autor/innen der Schweiz (AdS) und des Deutschschweizerischen PEN-Zentrums. Jury-Mitglied des Franz-Tumler-Literaturpreises (Laas, Südtirol). Zahlreiche Publikationen, zuletzt: Grenzland. Ein Klangbuch, zusammen mit Martin Merker, Violoncello, Wolfbach Verlag, Zürich 2007. Für seine literarischen Arbeiten wurde Neeser mehrfach ausgezeichnet, zuletzt beim Lyrikpreis Meran mit dem Medienpreis RAI Bozen (2006). www.andreasneeser.ch

Laudatio

Marie-Rose Cerha für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2008

Die Gedichte sind betitelt mit „Drei“, „Sieben“, „Elf“, „Zwölf“, „Fünfzehn“. Beziffert also, gleichsam kryptisch, was dem Leser - wie so oft - durch den Titel keine Hilfestellung bietet, womit er es wohl zu tun haben könnte. Der Leser ist gefordert, zerhackt doch Andreas Neeser die Bilder und fügt sie ungewohnt und unorthodox aneinander, um sie den Leser wieder zusammensetzen zu lassen – auf seine Weise.

Jener bekommt sodann einen neuen Blick auf die Welt und eine Idee von dem, was mit dem Ich-Erzähler, der sich einem Du mitteilt, geschieht. Die Sprache treibt nicht voran sondern ruht auf einer Einstellung, überliefert Atmosphäre. An Natur und Landschaft werden Ich und Du gemessen: Sprache trennt und verbindet. Einsamkeit und Nähe werden ausgelotet an der Stille und am Wort.

„ich lege ein Wort auf den Spiegel . . . in das eiskalte Schweigen“, liest es sich da und wird zu ihrem „einzigen Lied“.

An welchem Schauplatz auch immer -Zug, Gebirge, Zimmer - es geht um die Liebe, um die Suche nach ihr und ihren Erscheinungsformen. Wie und wann zeigt sie sich, ist sie zu spüren? Über Wörter und Sätze, in der Stille?
So steht am Ende „beim Frühstück“

„gelingt dir ein handwarmer Blick unters Hemd, und die Sprache der lautlosen Zeichen versteht sich von selbst.“

Wir gratulieren Andreas Neeser ganz herzlich zu seinen wunderbaren Gedichten und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg.

Gedichte

Drei

Die Züge sind unhörbar fern hier im Osten, ein Glashaus │ im Schotter │ verrostetes Gras und │ ein sterbender Sperling │ fliegt nie wieder │ weiter │ im Takt │ schlag ich Stimmen ans halbblinde Glas, und ich sag dir, die Reise ist länger zu lesen │ im Stillstand │ geht alles vorbei │

                                         wie die Antwort am eigenen Ohr │ sagst du, klingt das geflügelte Wort │ wenn ich warte, auch dann │ missversteht sich die Sehnsucht als gangbarer Satz │ aus dem Bild

                                         durch den Tag │ führt │ kein Zug │ soll dich fahren │ dich tragen │ die rissigen Füße viel weiter │ im Kopf │ wächst die Ahnung von │ Ankunft bei Nacht │ ist ein einsamer Ort.

Sieben

Blau ist die Farbe zuhinterst │ zuoberst im Tal │ wird das Auge erst weit, die Mäander verlaufen sich │ hoch auf der Ebene │ geht mir der Weg aus, wir stehen │ am Abgrund │ verstehe ich grundlos die Tiefe des Bergsees, ich lege ein Wort auf den Spiegel und les es hinein in │ das eiskalte Schweigen │

                                         die Leere │ verdichtet sich, Firn liegt in Falten, der Gletscher verspricht mit gespaltener Zunge die Rückkehr zum Anfang │ in harmloser Ferne │ verdunstet der Name, der Gipfel verliert sein Gesicht in den Wolken, ich wickle die Jacke ums Herz, diese steinerne Stille wird lauter, geschliffen, geschmirgelt │ im frostigen Wind │ scherbelt dunkles Geröll, unser Lied, sagst du, hör, unser einziges Lied, sagst du, schaust noch mit offenem Mund nicht hinaus, nicht hinein │

                                         durch die dichteste Haut │dringt kein Blick und kein Laut │ wenn du fraglos im Nebel entschwindest │ gelingt mir auch heute der einsame Abstieg, wie nah wirst du sein, ist mein vorletzter Satz.

Elf

Wie weit trägt dein Wort │ wenn du schweigst, wenn du schwebst │ in der hauchdünnen Luft │ weht │ die Schwere des Atems │ umweht uns beim einsamen Aufstieg durchs Eisfeld, doch wie wärst du näher und │ leiser │ geht einzig der Ost-wind │

                                         am Seil │spann ich Reihen von Silben, ein Sirren, ein Flirren, │ im sichersten Licht │ wird die Wahrnehmung schärfer, ich wachse durch Risse nach innen und schmecke in Spalten │ das ewige Gras │ kann man riechen, und hör, zwischen blühenden Sätzen │ im Spätsommer │ hörst du die Bilder sich reiben │

                                         an Bildern │ erst zeigt sich der Klang unsrer Sprache │ so tief aus der Welt │ wird man leichter und lichteren Schrittes │ sich selbst │ hat kein Auge je wahrhaft │von innen gelesen │ versagt sich die Liebe uns nicht.

Zwölf

Dein Blick rollt mich ein in die Welle, ich schlage die Arme, die Beine und schnappe und japse, kein einfacher Satz spricht mich aus │bis zum rettenden Ufer │ vergeht mir │ der handfeste Stand │ wär ein denkbarer Irrsinn im Strudel, im Sprudel

                                         denn wo wär ich mehr als │ in dir │ würd ich Wasser und Herz, wenn ich so dich dann sehe, vergeht mir kein Hören │ im Rauschen │ im Rausch │ schäum ich auf, und ich frage dich einmal noch, wie halten Fische die Luft an.

Fünfzehn

Beim Frühstück verblassen die schreienden Farben, so kurz nach dem Traum hängt das Glück nicht an Bildern │ an Wörtern │ erkenn ich dich │ lichter │ erfahr ich die innerste Schicht deiner Haut │ und die Stille │ verstehst du als Echo │ im milchigen Spiegel│

                                         beim Gang durch mein Haar │schreibt die Rückseite dieser Geschichte, was Liebe, was Laster, sich fort in den Tag, und wir lehren uns heimlich Vertrauen │ am Anfang des Sommers │ gelingt dir ein handwarmer Blick unters Hemd, und die Sprache der lautlosen Zeichen versteht sich von selbst.