Johanna Hansen, Schriftstellerin, Malerin, Herausgeberin.
Kindheit am Niederrhein. Studium der Germanistik und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm- Universität Bonn. 1. und 2. Staatsexamen. Lebt in Düsseldorf. Zunächst Sprachlehrerin und Journalistin. 1991 Beginn der künstlerischen Tätigkeit. Seit 1993 Ausstellungen. Seit 2008 literarische Veröffentlichungen.
Fortbildung durch workshops bei Marina Abramovic (Performance), Peter Rosei (Erzählung), Elfriede Czurda (Lyrik), Oskar Pastior (Lyrik), Azade Köker und Wilfrid Polke (Plastik).
3 Jahre Aufenthalt in der Schweiz/Davos. Dort intensives Selbststudium. Seit 1993 zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, seit 2008 Veröffentlichungen als Einzelpublikation, in Literaturzeitschriften, Anthologien und auf Literaturplattformen (u.a.Fixpoetry, Faust-Kultur, Ariel-Art, e-ratio postmodern poetry) Seit 2013 zusammen mit Wolfgang Allinger Herausgeberin der Literaturzeitschrift http://www.wortschau.com
2014/16/18/22 Gastatelier Cité Internationale des Arts, Paris
2018 Stipendiatin im Schriftstellerhaus Ventspils, Lettland
2019 Postpoetry Lyrikpreis NRW
2020/21/22/24 Arbeitsstipendium des Kulturministeriums NRW
In Zusammenarbeit mit Komponisten/Komponistinnen und Videokünstler:innen entstanden Performances, Poesiefilme und spartenübergreifende literarische, musikalische und bildnerische Projekte. Zuletzt Mondhase an Mondfisch, Wortschau Verlag 2022. Gedichte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt.
Laudatio
Laudatio auf Johanna Hansen
Von Klaus Berndl
Der Zauber dieser Verse liegt zwischen ihren Zeilen. Ist dies das Geheimnis dieser Lyrik? Hier werden Erinnerungen wach, an Zeiten, Orte und Geschehnisse, die man als Leser:in gar nicht erlebt hat – als wären es die eigenen. Wie ist das möglich, dass man hier so unmittelbar nachempfindet, was man nicht kennt? Es wirkt, als wäre es aus der Erinnerung einer früheren Generation: in so einem verstaubt-vergilbten Licht liegt, was man hier liest: Als die Welt noch in Ordnung war, der Boden noch fest und verlässlich.
Apokoinu. Doppeldeutigkeiten, ach was, Bedeutungen, die sich im Lesefluss ändern und verändern. Falltüren noch und noch, und fällt man hindurch – man fällt hindurch! – dann sieht man, was eben noch elegant und lichtgebräunt war, nun im grellen Licht von Neonröhren. Nur noch dies: das Gitterbett. In das aber der Himmel passt. Die Federkissen. Davor, danach und dahinter die ausschwärmenden Vogelknöchelchen. Hinter jedem „Satzende“ lauerte ein weiteres Bild, eng verknüpft mit dem vorherigen. Das zielstrebige Mäandern führt in ein dichtes Gewebe.
Mutter liegt im Sterben; sie verschenkt ihre Erinnerungen. Der Tod ist schon da, wo sie noch lebt, noch spricht. Man bekommt eine Ahnung von dieser vierten Dimension, in der diese Füße, eben gestreichelt, jetzt noch tanzen, frech den Foxtrott, zwischen altmodischen Stühlen hindurch. Die Füße: „ihr blassrosa verfärbt sich zu wachs. das / aus dem bett tropft in weit zurück liegende tage.“ Das ist – auch – gruselig. Es folgt die fünfte Dimension, Gott.
In all dem liegt eine so entschlossene, so feste Liebe, ein so intensives Gefühl zu der Sterbenden/Verstorbenen, das einem eine Verlässlichkeit vermittelt, wie es nur die unbedingte Eltern-Kinder-Liebe geben kann. Sie ist es, die nicht etwa schwindet, die nicht geringer wird, sondern die sich, wie sie ist, einfach in eine andere Dimension verschiebt, die also in die Entfernung rückt, ohne im Mindesten an Intensität nachzulassen. „bis genug abstand da ist. um in einem / einzigen atemzug ohne großes aufhebens von dir / zu machen. in einem luftloch zu verschwinden.“ Bis zum Tode.
Was bleibt? Die Mondsichel aus Holz – die gelben Kränze, die „lange frisch“ bleiben – damit entfernt sich die Erinnerung selbst; es bleibt der Gedanke an die Erinnerung. An Erinnerung an sich. Verstaubt ist, was mal verlässlich war.
Was ist das, hier, das einen so unmittelbar packt? Bild für Bild. Was dieses Gefühl so ungemindert überträgt? Ungefiltert durch das Raster der Buchstaben und Zeilen?
Was soll es schon sein? Es ist das Je-ne-sais-Quoi, das ist die Kunst. Wir haben es alle empfunden, im Lesen, wir Jurorinnen und Juroren, und wir sind alle froh … nicht etwa nur, dass diese Zeilen eingereicht worden sind, sondern dass es sie überhaupt gibt, auf dieser Welt, in dieser Zeit, in unserer Dimension. Wir freuen uns alle, dem Ausdruck verleihen zu können: Mit in einem „Dankeschön“ möchten wir den ersten Preis des Lyrikpreises Feldkirch des Jahres 2024 überreichen an: Johanna Hansen.